Das Vergessene Interview



„Also was Miriam da gesagt hat, das würde Miriam heute auch so sagen. Nur Winzigkeiten: Ich war 23. Und da sind ein paar Vertippselungen.

meinte Miriam als ich Sie fragte, wie sie es heute noch findet und ob ich es jetzt veröffntlichen darf. Danke Miriam!  März, 2024


Interview vom Januar, 2018

Miriam K., 38 Jahre, unverheiratet, kinderlos. Miriam arbeitet 3 Tage die Woche als Autorin für einen großen Medienkonzern in Hamburg.

„Beruf? Freie Journalistin, halbwegs frei, vielleicht bin ich auch unfrei, na ja, ein bisschen unfrei.“

Du hattest mir erzählt, dass Du, als Du 16 Jahre alt wurdest, deine Haare verloren hast.

Nein, ich hatte Dir erzählt, dass ich sie mit 26 Jahren verloren habe. Mit 16 Jahren wäre das schrecklich gewesen. Als Teenager baut sich das Selbstbewusstsein ja grade in dem Altersabschnitt auf und da dann Haarausfall zu bekommen, wäre wohl schlimm geworden.

Mit 26 Jahren hatte ich furchtbaren Liebeskummer. Eine emotionale Überforderung ist dann oft der Auslöser für den Ausbruch der Autoimmunerkrankung, die bei mir den Haarausfall hervorrief. Setzt allerdings auch eine Veranlagung zur Autoimmunerkrankung voraus.

Ich war damals mit einem depressiven Mann zusammen, den ich sehr liebte. Ich wusste nicht, ob die Beziehung zu Ende ist, ob sie endet. Für mich war es so, vor Kummer in einen Abgrund zu fallen.

Hilflosigkeit?

Totale Hilflosigkeit! Jemanden, der einem mit seinen großen, depressiven Augen anschaut und hilflos ist. Man kann da ja auch einfach nichts machen. Ich war damals total traurig und überfordert. Und so fing das an. Wir haben uns dann für 4 Wochen getrennt, kamen danach wieder zusammen und dann fielen mir die Haare aus.

2003 war ich mit meiner besten Freundin bei einem Perücken Verkäufer, der mir die letzten Strähnen von meinem Schädel rasierte und mir eine Perücke aufsetzte. Seit dem trage ich Perücken.

Wissen alle in deinem näheren Umfeld, dass du keine Haare mehr hast?

Das hat sehr lange gedauert, bis ich damit so offen umgegangen bin wie heute. Ich war natürlich total unsicher. Für jede Frau ist das ein Alptraum. Allerdings war es für mich sehr viel einfacher damit um zugehen, weil ich als 12 Jährige phasenweise Neurodermitis hatte. Das entstellt dich auf den ersten Blick, sichtbar. Die Neurodermitis verschwand in der Zeit, als der Haarausfall begann und das war dann für mich nicht der schlechteste Tausch.

Solange die Haut glatt ist, ist alles andere, das nicht weh tut, nicht so schlimm. Ich habe durch die Autoimmunerkkrankung, die mir meine Haare raubte, ein ganz neues Selbstbewusstsein Es ist wahnsinnig befreiend! Ich habe erfahren, dass das überhaupt keine Rolle spielt, ob du Haare hast oder nicht. Ich habe niemanden kennen gelernt, der mich deswegen abgelehnt hat. Da habe ich auch bemerkt, dass ganz viele andere Sachen auch keine Rolle spielen, über die ich mir Gedanken gemacht habe.

Es gibt Schönheitsideale, denen wir alle so wahnsinnig gerne entsprechen wollen. In dem Moment, wo du feststellst, dass du diesem Ideal überhaupt nicht entsprichst, entsprechen kannst und trotzdem erfährst, du wirst geliebt, befreit dich das total von diesen ganzen Vorgaben.

Und bist Du dadurch freier geworden?

Ja. Definitiv ja! Die ersten Jahre habe ich immer gedacht, wenn jemand herausfindet, dass ich eine Perücke trage. ... Ich kam mir vor, wie eine Mogelpackung! Grade bei Männern ist das sich so zeigen wie eine neue Intimität. Ich teile mit ihm etwas Besonderes. Es ist eine reine Nacktheit und mittlerweile denke ich, dass mehr Männer als ich dachte, meine Glatze attraktiv finden. Ich mag mich jetzt auch ohne Haare. Am Ende ist es wahrscheinlich so: wenn ich auch noch 20 Kilo mehr wiegen würde, selbstbewusst und entspannt damit umgehe würden die Leute mich auch noch gut finden. Bin ich langsam eine emanzipierte Persönlichkeit? (lacht)

Wirkt sich diese Erfahrung auch auf deine Beziehung aus?

Ich komme grade aus einer Beziehung, die ich noch nicht emotional abgeschlossen habe. Und da war es so, dass er mich ja schon so kennen gelernt hatte.

Hängst Du emotional in der Luft?

Ich habe das Gefühl, dass Männer in solchen Situationen emotional oft mehr in der Luft hängen. Ich glaube nicht, dass ich nie wieder lieben kann, oder dass ich für immer verletzt bin. Ich bin nicht deprimiert. Es ist wie eine Wunde, die immer mal wieder weh tut. Dann denke ich: „Oh Gott, jetzt ist es mal wieder schlimm!“ Aber es ist nicht das, was mein Leben bestimmt.

Was bestimmt denn Dein Leben?

Ich kann den schlimmsten Streit mit Weinen, Schreien, gegen die Tür treten haben, dann gehe ich ins Büro und arbeite meine 8 Stunden. Viele Männer die ich kenne, übertragen ihr Gefühl dann auf alles, die können nicht mehr arbeiten, lassen sich hängen. Ich kann das sehr gut trennen. Das macht es für mich wohl leichter.

Du wolltest ein Buch schreiben, über Perücken.

Ich war grade auf Kuba und habe 10 Seiten geschrieben. Die Problematik bei so einem Projekt, ist der Anspruch an sich selber. Wenn ich für ein Heft schreibe, habe ich den Anspruch, den besten Text im Rahmen dieses Heftes zu schreiben. Ich finde es wahnsinnig schwer, über mich selber zu schreiben. Da muss ich meinen eigenen Rahmen finden. Außerdem bedeutet das auch eine gewisse Egozentrik das aufzuschreiben, was man erlebt hat, da man ja augenscheinlich die Geschichte so wichtig empfindet, dass andere Leute das lesen müssten. Da fällt es mir noch schwer, die richtige Einstellung zu finden.

Aber ist das nicht auch eine Art der Selbstfindung?

Ja, ich schreibe viel über das, was ich erfahre und das begreife ich auch als eine Auseinandersetzung mit mir selber. Das schreibe ich jedoch nicht im Rahmen eines Buches, das andere lesen sollen. Das ist mein privates Schreiben! Die großen Fragen meines Lebens verhandele ich noch handschriftlich in diversen Notizbüchern mit mir selber. Diese Texte finde ich tatsächlich noch viel besser als die, die ich bis jetzt für dieses Phantombuch formuliert habe.

Ich merke, dass Schreiben mir extrem nahe ist. In Konfliktsituationen habe ich immer das Bedürfnis zu schreiben. Ich habe während meiner letzten Beziehung sehr viel an den Mann geschrieben, mit dem ich zusammen war und klar, nicht abgeschickt.

Wenn ich das jetzt so nachlese, ist es für mich ein totales Stimmungsbild unserer gemeinsamen Zeit. Jetzt erst bin ich in der Lage, dies für mich zu verarbeiten. Ich erkenne, in was für einem Zustand ich war und das ist eine wichtige Erfahrung, weil ich es sonst vergessen würde. Diese ganzen Dinge und Situationen hatte ich komplett vergessen und im Nachlesen bekomme ich wieder ein Gefühl dafür. Geschichte ist wichtig, global und persönlich! Besonders bei Trennungen.

Klar hinterlässt eine Trennung Traurigkeit. Keine Wut, eher Traurigkeit. Ich habe über Akzeptanz gelesen: man muss Dinge akzeptieren, auch wenn man sie nicht versteht. Es hilft manchmal nicht nach Erklärungen zu suchen, weil jede, die man sich bastelt nicht genau die ist, die der Wahrheit entspricht. Ich habe offenbar in der Beziehung etwas anderes gesehen. Ich kann es nicht ändern, und das muss ich akzeptieren. Ich kann nicht jemanden zwingen, dass zu tun, wie ich es will. Und wenn es für mich das Größte war und für ihn offensichtlich nicht, weil er bevorzugt es ja offenbar ohne mich zu leben, dann geht es nicht darum, ob ich das verstehe. Ist ganz schön schwierig, ist aber so. Es ist eine Kleinigkeit, gemessen an anderen Leuten die akzeptieren müssen, dass sie Krebs haben. Es ist ein Prozess, den man durchmachen muss.

Es gibt ein Buch von Sheryl Sandberg, deren Mann plötzlich auf dem Laufband tot zusammengebrochen ist: „Option B“ Darin beschreibt sie ihre Theorie, wenn man Option A nicht bekommt, kann man Option B haben. Und letztendlich ist es egal, A oder B, was wichtig ist die Option. Man braucht dann Zeit und Hingabe an seine eigenen Gefühle. Die darf man nicht verdrängen.

Was heißt das?

Zulassen, dass es einem scheisse geht: ok, das tut jetzt weh, da tut es weh und ..da.. und da. Sich dann aber nicht in seine Traurigkeit reinfallen zu lassen oder etwas tun, um das Gefühl der Traurigkeit wieder sofort weg zu bekommen.

Vielleicht braucht man ein gewisses Kontingent an Zeit und dann wird es besser.

Aus meinen privaten Texten kann ich dann wohl mal eine Biografie stricken. (lacht)

Für dich ist das Schreiben das Wichtigste?

Das wichtigste ist das zu Erleben, worüber ich dann schreiben kann! Erleben ist wichtiger als schreiben. Mein Schreiben ist dann die Form der Klärung meines Erlebten.

Ich bin keine Künstlerin. Mir fehlt ein bisschen der innere Drang nach Anerkennung durch das Schreiben. Meine Anerkennung bekomme ich durch mein alltägliches Leben, durch Freund- oder Bekanntschaften, meine Art des Umgangs mit Menschen. Wenn man Menschen wirklich mag, auch manchmal ausgehend davon, dass sie mich vielleicht nicht mögen, ich ihnen es nicht übel nehme und deswegen nicht gekränkt bin, sondern ihnen trotzdem mit Liebe begegne, dann kommt die Liebe auch meistens wieder zurück. Liebe ist übertrieben, sagen wir Sympathie.

Gibt es für dich beim schreiben privates und offizielles?

Für mich schon, ja,

Privat ist nachts um drei mit Kugelschreiber in eine Kladde und offiziell ist morgens am Laptop.

Ich habe alle Voraussetzungen das zu überwinden und ich mache es trotzdem nicht. Noch nicht. Irgendetwas blockiert. Eine Form von Angst, die ich noch nicht ganz eingekreist habe.

Ich arbeite aber daran. (lacht)


Diese Interview hatte ich 2018 für mein Projekt “Deutschland Erfahren” geführt. Da Miriam sich nicht ganz sicher war, ob Sie es mit Ihrem Portrait veröffentlicht sehen wollte, haben wir es zurückgehalten. In der Zwischenzeit hatte Sie andere Interviews gegeben und so darf ich es jetzt veröffentlichen. Danke Miriam!

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