Meinen Freunden Eine Geschichte Erzählen

Am Strand von Plage-Baignade les Petites-Dalles, Frankreich

 

Prolog

Als er seinen Kopf hob, wurde ihm die Situation schlagartig bewusst. Er lächelte gequält, riss reflexartig seinen rechten Ellbogen hoch, um die Hand in Höhe seines Nackens platzieren zu können, damit er die wieder einmal vergessene hochgeschobene Brille dort auffangen konnte. Durch den schnellen Handlungsablauf krümmte er seinen Körper nach hinten, die Hand erwischte die Persol nicht richtig, streifte sie nur am Bügel und gab ihr damit eine unvorhersehbare Flugbahn.

Er drehte sich nicht um, weil er im voraus wusste, was passieren würde. Wieder einmal. Er hörte, wie das teure polarisierende Sonnenglas auf dem Boden zersplitterte.

In solchen Momenten überkamen ihm Selbstzweifel. Zweifel über die Möglichkeit, sich verändern zu können, überhaupt jemals irgend ein Verhalten von sich noch ändern zu können.

Er sammelte die Scherben des linken Glases auf, legte die nun aus mehreren Teilen bestehende Brille ins Etui und hatte schlechte Laune.

Eigentlich hatte er nie schlechte Laune. Morgens, wenn er aufwachte, freute er sich auf seinen grossen Espresso und die Zigarette, die er beim Kaffeetrinken noch im Bett rauchte. Allen gesundheitlichen Anstrengungen seiner mittlerweile nichtrauchenden Freundin zum Trotz, liebte er dieses Ritual, an das er noch aus der Zeit seiner Jugend festhielt. Selbst an den entlegensten Orten der Welt, die er durch seinen Beruf als Fotograf besuchte, achtete er darauf, abgezählt nach der Anzahl der Tage oder Wochen seiner Reisen, Espresso Kanne, Espresso Kaffee und genug Gitane ohne Filter mit zu nehmen, selbst wenn er dafür andere Dinge, die für seinen Job wichtig werden könnten, dafür zurücklassen musste. Es war für ihn ein wichtiger Bestandteil seines Lebens geworden, der morgendliche Espresso und die Zigarette. Ein Ritual seiner morgendlichen Inkarnation.

Als die langjährige Beziehung mit der Frau seines Lebens zu Ende ging, waren die frühen Anzeichen der Trennung von ihm übersehen worden. Sie stellte ihn vor die Wahl, da kein Balkon zur Verfügung stand, entweder mit dem Rauchen aufzuhören oder vor der Tür auf der Strasse seinen Kaffee und die Zigarette zu geniessen. Da sie nicht zusammen wohnten, schlief er mehr und mehr wieder in seiner Wohnung mit der Folge, dass sie sich eher tagsüber trafen und weniger Sex hatten, bis dahin, gar keinen Sex mehr zu haben. Das war dann das Aus ihrer Beziehung. Diese Aus kam für ihn so plötzlich, so unvorbereitet, obwohl es so voraussehbar war, wie das Zerbrechen einer Sonnenbrille, die auf den Steinboden fiel. Er brauchte ungefähr ein und ein halbes Jahr, um sich einigermassen wieder in den Griff zubekommen, gelegentliche emotionale Abstürzte nicht mitgerechnet.

Nach dieser Zeit, hatte er ein sehr distanziertes Verhältnis zu Frauen. Selbst Sex interessierte ihn nicht mehr. Für ihn war die Voraussetzung für Sex eine grosse spirituelle Nähe, ein sich Verstehen können, dass er nicht mehr aufbringen wollte, nicht mehr zuliess. Er machte viele Bekanntschaften, die aber immer auf einer eher freundschaftlichen Ebene verliefen.

Er stellte sich eigenen Herausforderungen, die, wenn sie schiefgingen, sein Leben kosten konnten. Nicht, dass er leichtsinnig war. Er bereitete sich gewissenhaft auf diese Aufgaben vor. Es entstanden fotografische Konzeptarbeiten, die ihm alles abverlangten. Machmal über seine physischen und psychischen Grenzen hinaus. In diesen Arbeiten wollte er etwas zeigen und überwinden, dass ihn nun in seinem Leben behinderte. Er wollte die Sicherheit überwinden, die er glaubte zu haben. Seine Sicherheit im Sehen. Diese Sicherheit hatte ihn blind werden lassen, zielgerichtet, wo kein Ziel war. Die Deutung der Dinge und Sachverhalte in seinem Leben stellte er in Frage und es fühlte sich für ihn an, wie damals, als er in der Wüste ausgeraubt worden war und 8 Tage brauchte, nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet, die nächste Beduinen Siedlung zu erreichen. Im Unterschied zu diesem Erlebnis sah er jetzt keine rettende „Beduinen Siedlung“ mehr, die erreichbar und die ihn hätte retten können. Er hatte sein „Schiff“ verbrannt, so wie die Frauen aus dem zerstörten Troja die Schiffe am Strand Siziliens verbrannten, um ihren Männern zu zeigen, dass sie für einen Neuanfang innerlich bereit und gerüstet waren. Vor ihm lag das Unbekannte.

Fortsetzung folgt...........

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Das Vergessene Interview